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Willi Sittes erotisches Spätwerk

15. Juni 1998

Er war einer der wichtigsten Maler in der DDR; war Vorsitzender des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR, war Volkskammerabgeordneter und saß zum Schluß sogar drei Jahre lang im ZK der SED: Willi Sitte. Anders als viele seiner Kollegen schwor er nach der Wende nicht seiner Vergangenheit ab. Seine Werke verschwanden aus den ostdeutschen Museen und Galerien. Trotz seiner Nähe zu den DDR-Mächtigen war er auch im kommunistischen Staat nicht unumstritten: An seinem 250 qm großen Monumentalbild am Suhler Kongreßzentrum etwa stießen sich die Sittenwächter, weil dort eine nackte Arbeiterfamilie dargestellt wird. Willi Sittes erotisches Spätwerk wird seit dem 12. Juni 1998 in Burghaun im Landkreis Fulda gezeigt.

Großformatige Gemälde - darauf Körper - Frauen, Männer, nackt, beim Liebesspiel. Mit expressiven Pinselstrichen gemalt, fröhliche Farben - helles blau und rosige Hautfarben herrschen vor. Spätexpressionistisches dominiert Willi Sittes Spätwerk, im Stile von Lovis Corinth.
Eigentlich, meinte der 77jährige Sitte, passe er mit seiner realistischen, gegenständlichen Kunst gar nicht in die Galerie Liebau in Burghaun. Denn die zeige sonst nur avantgardistisch abstraktes. Aber: Galerist Günther Liebau überredete ihn:

"Als erstes hat mich natürlich der Künstler Sitte beeindruckt: seine Darstellung des Menschen ist einfach sowas von beeindruckend - wenn man das gesehen hat: die leben in sich. Seine politische Richtung war eigentlich zweitrangig für mich. Denn: man muß ja auch fragen: Viele der bekannten anderen DDR-Künstler, die heute sagen: Ja, also mit dem DDR-Staat konnten wir nichts anfangen, haben damals genau wie Sitte auch dafür gearbeitet"

Da sei Sittes Haltung viel ehrlicher. Außerdem habe Sitte sehr viel für die DDR-Kunst geleistet. Zu dieser Zeit steht er immer noch - er, der früher einmal - mit Bernhard Heisig, Werner Tübke und Wolfgang Matheuer - zu den Großen der DDR-Kunst gehörte:

"Ich gehöre nicht mehr dazu, weil ich mich nicht distanziert habe von der DDR. Ich habe mich nicht distanziert von meiner Vergangenheit, von meinem Leben, von meiner Biographie - ich stehe dazu!"

Und deshalb zerbrach auch die Freundschaft mit vielen seiner Künstlerkollegen aus der DDR. Folge für Willi Sitte:

"Offiziell werde ich überhaupt nicht mehr zu Kenntnis genommen, aber ich habe (durch) sehr viele Ausstellungen, so auch die heutige Ausstellung, erfahren können, daß ich von der Bevölkerung, von einem doch erheblichen Teil der Bevölkerung, akzeptiert werde, nach wie vor. Auch mit meiner Biographie und auch mit meinen Arbeiten".

Nur für die Direktoren der großen Museen sei er eine Unperson. Selbst in seiner Heimatstadt Halle existiere er für die Stadtoberen nicht mehr. Sitte wird mittlerweile fast nur noch in privaten Galerien im Westen gezeigt - in Wittlich in der Eifel, in Karlsruhe, und jetzt in Burghaun - den Besuchern aus Osthessen gefällt die Ausstellung:

"Warum soll er jetzt aufgrund der Grenzöffnung alles verleugnen und sich da jetzt nach dem Wind richten, der da jetzt vielleicht weht? Also ich hab' damit kein Problem" - "Ich hab's so empfunden, daß viele Bilder sogar ne Protestbewegung zu dem Regime darstellten. Die Darstellungen selbst von den Motiven, die ja eine rein sozialistische Arbeiterbewegung dargestellt haben, die Ausdrucksformen der Körper alleine waren vermutlich irgendwo auch in der Richtung Protestbewegung zu dem Regime" - "Willi Sitte habe ich schon mal in Kleinsassen gesehen; war sehr schockiert - und komme hierher, ich sehe ganz andere Bilder, also bin sehr begeistert und schaue nochmal durch die Ktaloge und stelle fest: das ist ein Riesenlebenswerk, das hier eigentlich präsentiert wird, und so weiter, und das beeindruckt einen sehr".

In der Kunststation Kleinsassen in der Rhön waren Sitte-Bilder schon vor der Wende gezeigt worden - er hatte auch die Teilnahme der führenden DDR-Künstler an der Documenta 1977 in Kassel, als Vorsitzender des Verbandes der Künstler der DDR, organisiert. Fühlt sich denn Willi Sitte - als  ZK-Mitglied Angehöriger der DDR-Elite - mitverantwortlich für die Unrechtstaten der DDR? Eigentlich nicht.

"Ich habe mindestens vier oder fünf Parteistrafen gehabt, weil ich in einem ständigen Konflikt mit der Partei war. Aber ich war nicht der Meinung, daß ich - ich war für die Partei, aber ich habe in einem Konflikt immer mit den Funktionären gestanden"

Wie zu DDR-Zeiten malt Willi Sitte also erotische Bilder - etwa das Idyll mit drei nackten Schönen - hinter ihnen aber steht ein häßliches, grünliches Skelett: das ist das Böse, die gierigen Mächte, die, die die ihrer Unbefangenheit berauben, ihre Sexualität ausbeuten und ihren Kapitalinteressen unterwerfen wollen. Die Gemälde und Grafiken von Willi Sitte sind bis zum 26. Juli 1998 in der Galerie Liebau in Burghaun zu sehen.

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© 1998 Christoph Käppeler

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