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18. Juni 1999

Ein Abend mit zwei Premieren in der Bad Hersfelder Stiftsruine

Gnadenlos auf leichte Unterhaltung trimmte im vergangenen Jahr der damalige Bad Hersfelder Festspielintendant Ingo Waszerka seinen Spielplan für dieses Jahr,  bevor er sich dann plötzlich und unerwartet verabschiedete. „Evita", „Viel Lärm um Nichts" von Shakespeare und „Der Bürger als Edelmann" von Molière - diese drei Stücke übernahm Wiederintendant Peter Lotschak von Waszerka - nur ein weiteres Molièrestück warf der in die Ruine vernarrte Österreicher vom Programm. In „Der Bürger als Edelmann" übernahm er selber die Regie, und gestern abend war Premiere - Christoph Käppeler hat sie sich angeschaut und glaubte zeitweise, im falschen Stück zu sein:

Da stehen einige Stühle auf der Bühne, mit Plastikplanen abgedeckt. Ein Blitz, dann ein Donner, effektvoll über der Stiftsruine ausgelöst. Einige Personen beiderlei Geschlechts eilen über die Bühne, wischen hier einen Tisch trocken, bringen dort eine Glasvase in Sicherheit. Jetzt wird es spannend: Ein Mann mit drei Abziehern betritt den Schauplatz. Einen behält er, zwei weitere verteilt er an Mitspielende. Es regnet auf die Bühne, auf den großen Teppich in ihrem Zentrum. Mit den Abziehern mühen sich die drei, das immer wieder nachfließende Wasser vom Boden zu entfernen. Vergeblich. Cembalo- und Gitarrenmusik erklingt. Immer wieder fließt neues Wasser nach. Das Publikum ist gebannt. Es erkennt, daß es einer Ionesco- oder Becketthaften Inszenierung über die Sinnlosigkeit allen Tuns beiwohnt; diese moderne Aussage packend inszeniert von - Nein: Nicht Intendant und Regisseur Peter Lotschak, sondern von einem höheren Spielleiter, der seinem Stück: „Regen in der Stiftsruine" wieder einmal eine Wiederaufnahme verschaffte.

Und dieses moderne Stück ist so unterhaltsam, daß man ihm immer wieder gerne zuschaut. Schließlich sieht man da sogar Lotschak selbst auf der Bühne agieren und deklamieren. Leider aber dauert es nur eine halbe Stunde, dann geht das andere , das eigentliche, viel konventionellere, weiter: „Der Bürger als Edelmann". Ein wunderschönes Stück. Sehr unterhaltsam, lustig, grotesk. Die Handlung ist leicht zu verfolgen und zu verstehen: Ein Pariser Tuchhändler namens Jourdain will gerne vornehm sein, sucht und findet daher den Kontakt zu adligen Nichtstuern und Habenichtsen und macht sich, ohne es merken, zum Gespött aller. Der Parvenü par excellence. Graf Dorante umschmeichelt ihn, weil er dem reichen Händler immer wieder Geld für seinen höfischen Lebenswandel abluchsen muß. Die Baronin Dorimène macht das Spiel mit; der wie ein Paradiesvogel ausstaffierte neureiche Tor läuft ihr blind verliebt nach. Seiner Tochter Lucile verbietet er die Heirat mit ihrem Geliebten Cléonte, weil er nur bürgerlich ist. Die aber tricksen ihn aus: Cléonte verkleidet sich als „Sohn des Großtürken", der in Paris weilt. Er verleiht Jourdain den erfundenen Titel des „Mamamouchi". Jourdain ist überglücklich, endlich glaubt er zur feinen Gesellschaft zu gehören, wird von allen ausgelacht, gibt seine Tochter dem flaschen Türken und während man auf den Notar wartet, die scheinbar vornehmen Alliancen zu besiegeln, endet das Stück.

Über Molières Stück und den tumben Parvenu lachten damals am Hofe Ludwigs des 14. die Adligen - heute wir Bürger in der Stiftsruine. Zu recht kassierte gestern abend Rainer Hauer als Jourdain stürmischen Applaus - so bizarr spielte er den alten Trottel, der nicht merkt, wie er von allen verar... veräppelt wird. Entsprechend ausstaffiert von einer Ausstattung, die Farbe und Opulenz nicht scheute und ganz auf historisierende Kostüme setzte. Die aber verdeutlichen uns Heutigen die Dekadenz am besten - Herren in Seidenstrümpfen mit Fußbekleidungen, die heute nur noch als Damenschuhe getragen werden können. Günther Baron gab den überzeugenden Gegenpart als lasziver, überzüchteter, dekadenter adliger Nichtsnutz und Schnorrer. Auch die anderen Rollen sind mit guten Akteuren besetzt. Fernsehstar Anja Kruse als Dorimène fügt sich da in eine homogene Truppe ein. Ingrid Domann als rechtschaffene Frau Jourdain, die die moralische Überlegenheit des Bürgers über den Adel verkörpert, brachte allerdings in die französisch-flotte Comédie eine Note zu viel von biederem deutschem Schwanktheater.

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© 1999 Christoph Käppeler

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