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2. Juli 1999

Besucher aus Israel wollen Dialog mit deutschen Fuldaern fördern und jüdischen Kontingentflüchtlingen in Fulda eine bessere Ausbildung verschaffen.

Anfang Juni wurden im Jerusalemer Rathaus die Statuten eines neuen Instituts unterschrieben. Machon Aschkenas Israel - kurz M.A.I - heißt es: „Deutsch-Jüdisches Institut für den Dialog der Jugend und die Wissenschaften des Heiligen Landes". Das M.A.I. soll es in Jerusalem und in Fulda geben. Ziel: Die Jugend beider Länder zusammenzuführen und den Dialog zwischen ihnen zu fördern. Eine Woche lang nun war eine Gruppe aus Israel zu Besuch in Fulda. Dabei beschäftigten sie sich mit dem Erbe des deutschen Judentums, am Beispiel von Stadt und Landkreis Fulda. Und der rührige Organisator Michael Cahn hat viele weitere Pläne.

Michael Cahn - heute 74 Jahre alt - wurde 1924 in Fulda geboren. Er ist der Sohn des letzten Provinzialrabbiners für Hessen vor dem Völkermord an den Juden durch die Nazis. Heute lebt er in Israel - aber Fulda hat für ihn eine ganz wichtige Bedeutung. Denn, so sagt er: Fulda sei die Drehscheibe der Katholiken in Deutschland (die Deutsche Bischofskonferenz versammelt sich alljährlich zu ihrer Herbsttagung am Grab des Heiligen Bonifatius in Fulda), Fulda ist der Sitz des Deutschen Evangelischen Kirchentages und Fulda war bis zur Shoah, dem Holocaust, Schwerpunkt einer der wichtigsten Richtungen des deutschen Judentums, vor allem zwischen 1877 und dem 9. November 1938, der Reichspogromnacht. Eine symbolträchtige Stadt also für alle drei "abrahamitischen" Religionen, wie Michael Cahn die drei Bekenntnisse nennt.

Cahn berichtet weiter: "1902 wurde dem Fuldaer Bischof Georg Kardinal von Kopp - den Friedensstifter des Kulturkampfes zwischen Rom und Berlin - zum erstenmal an einen Nichtjuden von der Deutsch-Jüdischen Rabbinerkonferenz unter Vorsitz des damaligen hessischen Provinzialrabbiners Dr. Michael Cahn der Ehrentitel 'Wohlttäter des deutschen Volkes' verliehen". Dieser Michael Cahn ist der Großvater von Michael Cahn.

Im Landkreis Fulda wurde außerdem ein wichtiger Zweig der  Kibbuzbewegung  begründet, wo sich religiös-zionistische Pioniere auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereiteten:

„Die Kibbuz-Haddatih-Bewegung, die religiöse Kibbuz-Bewegung, die in Betzenrod 1924 gegründet wurde, 1926/27 nach Rodges umsiedelte, wie die Bauernhöfe dort zu klein waren in Betzenrod"

Als dann Rodges zu klein wurde, siedelten die Kibbuzniks auf den Gehringshof bei Hattenhof im Landkreis Fulda um. Auch dieser Hof wurde zu klein, und so arbeiteten mehrere Dutzend jüdischer junger Männer und Frauen bei den benachbarten Bauern am Hattenhof.
Der letzte dieser jüdischen Ausbildungshöfe im Gehringshof bestand bis 1941. Als die Kibbuzmitglieder abtransportiert wurden, wurden sie im slowakischen Preßburg auf ein illegales Schiff gebracht und kamen nach Palästina.
Als Fuldas damaliger Oberbürgermeister Wolfgang Hamberger (CDU) im Mai letzten Jahres Israel besuchte, tauchten zwei Überlebende auf, berichtet Michael Cahn:

„Die Brüder Zucker von Fulda waren bei dieser Vertreibung die letzten. Sie waren unter Umständen diejenigen, die in einer anderen Ecke in der Scheune im Gehringshof einritzten: Wir kommen wieder! Jetzt sind wir, in einer neuen Form, mit neuen Mitteln und Wegen, mit hochmoderner Technologie, wiedergekommen nach Fulda"

Denn:  Ein Plan des M.A.I. ist das Projekt „Harscharah 2000" - „Ausbildung 2000". Gedacht ist es für jüdische Kontingentflüchtlinge aus Rußland, die in Fulda leben und kein Abitur oder Fachabitur haben. Sie sollen in diesem Projekt, an dem deutsche und israelische Lehrer mitarbeiten werden, für ein Studium fitgemacht werden. Israel hat rund eine Million russischer Juden eingegliedert, so Michael Cahn, und deshalb große Erfahrungen mit solchen Integrationsprojekten. Geplant ist, dieses Projekt aus dem von der Regierung Schröder aufgelegten Programm zur Ausbildung von 100.000 arbeitslosen Jugendlichen zu finanzieren.

Zu den Besuchern aus Israel gehörte rund ein halbes Dutzend junger Israelis, alle etwa 20 Jahre alt, die sich in Fulda mit deutschen Schülern der Winfried-Schule und des BDKJ(Bund Katholischer Deutscher Jugend) trafen. Diese jungen Deutchen hatten im vergangenen Jahr Israel besucht.

„I think that was maybe the best experience that we had: to sit down with the German people and actually hear what they have to say and sit together with them and talk to them"

„Die beste Erfahrung war vielleicht", meint Rachel Tapuchi, „daß wir mit den Deutschen zusammensassen und zuhören konnten, was sie zu sagen haben, und uns mit ihnen zu unterhalten."

Chemdat Breuer sagt, daß sie zum erstenmal überhaupt mit nichtjüdischen Jugendlichen zusammentraf:

„It's changed something about Germany, because: when you sit with people an you see they are people like you and they have the same daily life as you have"

„Mein Bild über Deutschland hat sich geändert, weil man sieht, daß die Leute eigentlich sind wie man selber und sie den gleichen Alltag wie man selber hat, haben"

Obwohl sie nach wie vor ein zwiespältiges Gefühl in Deutschland hat, sagt Chemdat.  Und Rachel Schwarz meint, daß deutsche Jugendliche nicht so verbunden sind mit der Vergangenheit wie die israelischen Jugendlichen:

"On one hand we really do see the same German people that we see in movies made about the Holocaust and they look the same most of the time; and the fact that we have an interest in the same areas, even Bible and other things, that's also interesting"

„Einerseits sehen wir dieselben Deutschen die wir auch in Filmen über den Holocaust sehen, und sie sehen meist auch so aus; und (andererseits) haben wir dieselben Interessen, z.B. an der Bibel und anderen Dingen"

Und dann könne man oft wieder vergessen, wo man ist, meint sie. Als sie zum Beispiel in einem Park in Fulda sassen, sagte eine Freundin von ihr, sie fühle sich, als sei sie in England. Die Kinder, die man auf den Straßen sehe, hätten keine Verbindung zu ihrer Vergangenheit, hat Rachel Schwarz beobachtet. Aber als Jüdin könne sie das Geschehene niemals aus ihrem Denken entfernen, und auch die Deutschen sollten das  nicht tun. Sharon Berlinos Großmutter war in Auschwitz:

„I can’t really deal with it. But maybe my children, or their children, maybe they can one day look in the eyes of German people to see in them the real people and the human being and not just the past"

„Ich komme damit nicht zurecht. Aber vielleicht können eines Tages meine Kinder oder deren Kinder den Deutschen in die Augen sehen und in ihnen den Mensch sehen und nicht nur die Vergangenheit".

Aber: wenn sie mit Deutschen zusammen ist, kann sie die Vergangenheit zeitweise vergessen, sagt sie. Die jungen Deutschen, die sie traf, fühlen sich nicht schuldig - für die ist es leichter als für die Israelis, sich von der Vergangenheit zu lösen, meint sie.

Auf jeden Fall aber wollen die israelischen Jugendlichen jetzt im Goethe-Institut in Jerusalem Deutsch lernen, sagt Michael Cahn - und, so meint beispielsweise Rachel Tapuchi: sie wollen auf jeden Fall den Kontakt mit den Menschen aufrechterhalten, die sie in Fulda getroffen haben. "We want to stay in touch as this thing, that we are doing here, develops, we do want to keep connected and see what happens".


Siehe auch:

10. August 2000. “Es ist am Klirren” Nach Mordanschlägen auf Ausländer und Juden ist die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Fulda besorgt. (in diesem Beitrag kommt auch Hermann Zucker zu Wort, einer der beiden Zucker-Brüder, von denen Michael Cahn berichtet)

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© 1999 Christoph Käppeler
 
 

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